Langzeitstudium - dann FaMI-Ausbildung?

  • Hallo zusammen.


    Ich stehe derzeit vor einem großen Problem: Mein Leben ist gefühlt verkackt. Ich bin 26 Jahre alt, studiere derzeit Germanistik und bin, wenn es gut läuft, in ungefähr einem Jahr fertig damit. Damit habe ich dann 10-11 Semester auf dem Buckel für einen Bachelor. Die lange Studiendauer kann ich erklären: Das Nebenfach gewechselt in einem hohen Semester, ganze drei Semester krankgeschrieben und das davor deswegen komplett abgebrochen (und nicht mehr nachträglich beurlauben lassen). Es war eine psychische Erkrankung. Die schleppe ich schon mein ganzes Leben mit mir rum, ab einem gewissen Punkt war es dann nicht mehr möglich, irgendwas zu machen. Klinikaufenthalte etc.pp. folgten, und aktuell bin ich im ersten Semester seit langen, in dem ich wieder Leistung erbringen kann. Gearbeitet habe ich nebenbei tatsächlich immer (bis auf die Zeit in den Kliniken natürlich).


    Mit dem Lebenslauf finde ich niemals was als Absolventin, zumal ich keine Praktika vorweisen kann (wie auch, ich muss arbeiten), lediglich ein Ehrenamt in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.


    Ich habe mich lange mit einer bekannten FaMI unterhalten und bin der Meinung, dass dieser Beruf wirklich was für mich ist (Richtung Bibliothek, alternativ Archiv). Da die Bewerbungsfristen für 2023 alle schon durch sind, werde ich das Studium eh erstmal fertigmachen (müssen) und mich im Spätsommer auf die Ausbildungsstellen bewerben. Aber ich habe Angst, nichts zu finden! Dabei will ich endlich was richtiges Arbeiten und dann dabei auch bleiben. Natürlich werde ich mich auch auf Volos bewerben, aber ich weiß schon, wie das laufen wird: Absage über Absage über Absage.


    Hattet ihr bei euch in der Berufsschule oder der Ausbildungsstelle Menschen mit ähnlichem Lebenslauf? Ich wäre dann 27 Jahre alt, fast 28. Ich komme aus Frankfurt und würde mich bei allen möglichen Stellen in der Gegend bewerben, tatsächlich auch deutschlandweit (außer in Städten, in denen ich mir die Miete niemals leisten könnte – hier in Frankfurt habe ich mit meiner WG mehr als Glück gehabt – ich habe Katzen und eine neue WG zu finden ist fast schon utopisch).


    Meint ihr, ich habe Chancen? Dass ich für den Einstellungstest üben muss, ist mir klar, vor allem Mathe. Ich kann derzeit nix anderes außer Literatur und Politik.

  • Mein Leben ist gefühlt verkackt.

    So wollen wir hier schon mal gar nicht anfangen. Nix ist verkackt, du hast bald nen Bachelor in der Tasche und das ist, vor allem auf Grund deiner Krankheitsgeschichte, doch schon mal ein riesen Erfolg dass du es trotzdem durchgezogen hast!


    Da die Bewerbungsfristen für 2023 alle schon durch sind, werde ich das Studium eh erstmal fertigmachen (müssen) und mich im Spätsommer auf die Ausbildungsstellen bewerben.

    Das würde ich so nicht sagen. Viele Stellen werden auch jetzt zu Beginn des Jahres bzw. im Frühjahr noch ausgeschrieben, also gib für 2023 noch nicht auf!

    Wenn du aber natürlich in einem Jahr mit deinem hart erkämpften Studium fertig wärst, dann ist es natürlich überlegenswert vielleicht doch den Bachelor noch durchzuziehen, damit nicht alles umsonst war und dann 2024 mit der Ausbildung zu beginnen. Dann würde ich an deiner Stelle aber auf jeden Fall die Zeit bis zu den Bewerbungen noch nutzen und zwei oder drei Praktika in Bibliotheken (ÖB und WB) und evtl. einem Archiv zu machen. Das wird immer gern gesehen und gehört bei Vorstellungsgesprächen. :)


    Hattet ihr bei euch in der Berufsschule oder der Ausbildungsstelle Menschen mit ähnlichem Lebenslauf?

    Ich hatte in meiner Klasse jemanden mit Anfang 30, auch schon mit abgeschlossenem Bachelor. In der Paralellklasse war ebenfalls jemand mit Ende 20. Hat wunderbar funktioniert. Berufsschule ist dann natürlich wieder ein etwas anderes Niveau, sollte aber kein/wenige Probleme darstellen. :) Hatte und habe auch das Gefühl dass FaMI-Azubis generell ein sehr offener und cooler Haufen sind 8) Und vom Unterrichtsstoff her ist das ganze auch mehr als machbar.

    Meint ihr, ich habe Chancen? Dass ich für den Einstellungstest üben muss, ist mir klar, vor allem Mathe. Ich kann derzeit nix anderes außer Literatur und Politik.

    Definitiv hast du Chancen, da gibt es genug Leute die es schon mit deutlich weniger zu einem Ausbildungsplatz geschafft haben!

    Und mach dir mal wegen Einstellungstests keine großen Gedanken. Die gibt es sowieso nicht mehr überall, ich hatte bei meiner Stelle damals keinen. Hab es jetzt aber schon erlebt und von anderen mitbekommen dass es ein kleines Probearbeiten oder ein paar praktische Aufgaben bei den Vorstellungsgesprächen gab. Aber da helfen dir dann auch Erfahrungen aus eventuellen Praktika und es ist meistens sehr machbar alles. :)

  • Hi, willkommen,


    Ich kann dir auch versichern, dass es genug FaMIs gibt, die keinen geradlinigen Lebenslauf haben und du mit deinem Alter nicht die älteste bist, die sich schon um diesen Beruf bemüht hat. Ich war damals mit Mitte 20 auch nicht mal der älteste in meiner Berufsschulklasse :)


    Krankheiten sind genauso nichts, für das man sich schämen sollte. Wenn das potenzielle AG nicht einsehen wollen, sind sie sowieso nicht die richtige Wahl. Ich finde, offen und transparent mit so was umzugehen, wie du es hier schon machst, genau den richtigen Weg. Hier könntest du auch herausstellen, dass du ja offenbar trotzdem durchgehend einer Nebentätigkeit nachgegangen bist.


    10 Semester Studium ist inzwischen auch nichts mehr Ungewöhnliches, das hat uns ja nicht nur zuletzt die Pandemie vor Augen geführt. Etwa haben bei uns im Studium der Bibliothekswissenschaften selbst die leistungsstärksten mindestens ein Semester an die Regelstudienzeit drangehängt.


    Eigentlich ist das ganze Bewerbungsprozedere immer nur eine Sache der Kommunikation. Ich würde dir daher empfehlen, wann auch immer du dich bewerben willst, zuvor ein paar Bewerbungsratgeber für Menschen mit nicht-geradlinigem Lebenslauf durchzugehen. Genauso gibt es Literatur zur Vorbereitung auf Einstellungstests. Vieles davon gibt es auch als eBook, deine Unibib kann dir da sicher weiterhelfen oder du schaust in deiner Stadtbibliothek.


    Kann zwecks Bewerbungen für die Ausbildung 2023 nur Karibou zustimmen. Hier bei den Stellen und auch bei OpenBiblioJobs (siehe den aufbereiteten FaMI Feed für alle FaMI-relevanten Stellen) sind gerade vor kurzem einige Ausbildungsstellen dabei gewesen. Ich denke auch, dass dass nicht die letzten gewesen sein werden. Die Ausbildung beginnt ja i.d.R. im August oder September. Sicherlich schreiben viele große öffentliche Einrichtungen ihre Stellen schon ziemlich frühzeitig aus, aber es gibt immer viele kleine Einrichtungen, die auch noch kurzfristig Ausbildungsstellen anbieten. Genauso kann dies der Fall sein, wenn Kandidat*innen abspringen.


    Wenn du ja schon Abi hast, dich mit den Hochschulgepflogenheiten auskennt, trotzdem aber schon praktisch und mit Gehalt in einer Bibliothek arbeiten willst, wäre vielleicht alternativ zu der Berufsausbildung auch ein praxisbegleitendes Studium der Bibliotheks-/Informationswissenschaften etwas für dich. Solche Angebote sind leider aktuell noch rar gesät, aber vielleicht hast du Glück.


    Um Praxiserfahrung in Bibliotheken zu sammeln, wäre es für den Übergangszeitraum von Germanistikstudium zu Ausbildung neben Praktika im Bibliotheks- oder Archivbereich auch noch eine weitere Möglichkeit, wenn du dich als studentische Aushilfe in Bibliotheken, z. B. in der Unibib, betätigst.


    Deutschlandweit bewerben würde ich dir auch sehr empfehlen, so steigerst du deine Erfolgschancen enorm, zumal Reisekosten oft auch erstattet werden (einfach mal darauf achten oder ggf. nachfragen). Auch teure Städte würde ich nicht unbedingt ausklammern. Es gibt Sozialleistungen zur Finanzierung der Ausbildung. Bei einer dualen Ausbildung kannst du z. B. BAB (Berufsausbildungsbeihilfe) beantragen. Beim praxisbegleitendden Studium käme BAföG in Frage, müsste man sich aber in deinem Fall spezifisch anschauen weil Zweitstudium. Allgemein gibt es auch noch Wohngeld für die Miete etc. Das braucht alles etwas Auseinandersetzung, aber es gibt auch Beratungsstellen hierzu, die einem da unter die Arme greifen.

    „Man kommt auch immer noch früh genug zu spät.“ -Helmuth Plessner

  • Ich schließe mich in allem meiner Vorrednerin an.

    Lesen macht total viel Spaß!!! ;)


    "Gibt es etwas Beglückenderes, als einen Menschen zu kennen mit dem man sprechen kann wie mit sich selbst? Könnte man höchstes Glück und tiefstes Unglück ertragen, hätte man niemanden, der daran teilnimmt? Freundschaft ist vor allem Anteilnahme und Mitgefühl!"
    Marcus Tullius Cicero


    Früher Eve1992 - Ihr könnt mich aber trotzdem weiterhin Eve nennen. ;)

  • Ich kann aus Erfahrung berichten, dass im Bereich Archiv die meisten Bewerber (auf Azubi-FaMI-Stellen), Personen mit angefangenen oder abgeschlossenen Studium sind. Teilweise sogar mit Master. Damals in meiner Ausbildungszeit war das auch schon so, ich hatte viele Mitschüler mit abgeschlossenem Studium, oder welche, die sich neu orientieren wollten. Vom Alter war alles dabei von 16 Jahren bis über 50!


    Einfach bewerben. Wird schon :)

  • Vielen vielen Dank für eure lieben Antworten! <3


    Ich habe mich jetzt tatsächlich auf einige noch offene Stellen beworben und für eine sogar diesen Online-Kompetenztest "bestanden" (jedenfalls werde ich morgen ein kurzes Video aufnehmen müssen). Die waren ziemlich schnell mit der Rückmeldung. Wenn das nichts werden sollte, kann ich ja wirklich erstmal die Uni fertigmachen. Allerdings kann ich die Uni langsam nicht mehr sehen. Bei aller Begeisterung für Literatur, die Luft ist ziemlich raus ...

  • Hallo und guten Morgen :)


    Wie die anderen schon berichteten: Ein fertiges oder angefangenes Studium sind in dieser Ausbildung nichts ungewöhnliches, auch fertige Magister kommen vor. Und die verschiedensten Krankheiten bremsen die verschiedenen ja auch immer wieder mal aus, auch das ist nichts neues.


    Halte die Augen mal auf, im Januar / Februar werden oft noch Azubis für 2023 gesucht.


    Liebe Grüße!

    "Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen und laufen. Doch erst wenn man mit Büchern in Berührung kommt, entdeckt man, dass man Flügel hat." Helen Hayes

  • Schließe mich auch karibou und bibliocoder an.


    Ich habe vorher etwas geisteswissenschaftliches studiert, mit Anfang 30 die FaMI-Ausbildung begonnen und bin seit letzten Sommer fertig. Und war in meiner Klasse nicht der älteste Azubi! ;)

    "Seid Ihr der König? Also ich habe Euch nicht gewählt". (einfacher Arbeiter, Lordaeron)

  • Schließe mich auch karibou und bibliocoder an.


    Ich habe vorher etwas geisteswissenschaftliches studiert, mit Anfang 30 die FaMI-Ausbildung begonnen und bin seit letzten Sommer fertig. Und war in meiner Klasse nicht der älteste Azubi! ;)

    das ist gar nicht so selten. wir hatten in der berufsschulparallelklasse eine über 40, der eine umschulung zum fami machte

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    - Mungojerrie and Rumbleteazer (Cats)

  • Hallo Cassie.. Ich habe auch lange studiert und mich dann dieses Jahr dafür entschieden, dass ich noch eine FaMI Ausbildung machen möchte.. und ich bin sogar noch ein paar Jahre älter als du. :) Bis jetzt konnte ich für 2023 noch keinen Ausbildungsplatz ergattern. Aber einige Bewerbungsverfahren stehen noch aus. 🍀🍀 Und wie die anderen auch schon sagen, vlt wird noch die ein oder andere Stelle ausgeschrieben. Ich hoffe, du findest einen Ausbildungsplatz und hast Freude an dem Beruf. :) Wie du siehst, bist du nicht allein! :)


    Ich habe bisher aber die Erfahrung gemacht, dass Fahrtkosten in der Regel nicht erstattet werden.

  • Ich habe bisher aber die Erfahrung gemacht, dass Fahrtkosten in der Regel nicht erstattet werden.

    von bundeseinrichtungen schon :)

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  • Oh, ich verstehe... Eine der wenigen WBs (Bundesamt), bei der ich mich beworben habe, hat tatsächlich die Fahrtkosten erstattet. :saint:

    bei mir hat jede WB einer Bundeseinrichtung die Fahrkosten erstattet. mir fiel da auf, viele Bundeseinrichtungen besetzen Fami-Stellen nur 2 Jahre und dann schreiben die exakt die selbe Stelle wieder aus.

    habe mich damals dann ein zweites Mal darauf beworben und hatte dann die bestätigung, da die Personalerin am Telefon sagte, da hätten exakt die selben wie das letzte Mal gesessen..

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  • Ich möchte mal ein kleines Update geben.

    Falls das hier jemand liest mit ähnlicher Vorgeschichte und der ebenso großen Angst, nichts zu finden: Man findet was. Ich für meinen Teil habe sogar schon eine Zusage (allerdings nicht als FaMI, sondern als Verwaltungsfachangestellte, mein Plan B). Vorstellungsgespräch für eine FaMI-Stelle bei einer großen ÖB habe ich im März (und für die VFA sind sogar noch weitere VG-Einladungen gekommen, aber da gibt es halt auch mehr Stellen). Das ist also alles machbar, auch als Studienabbrecher nach sieben Jahren insgesamt (inkl. Urlaubssemester).

  • Ich möchte mal ein kleines Update geben.

    Falls das hier jemand liest mit ähnlicher Vorgeschichte und der ebenso großen Angst, nichts zu finden: Man findet was. Ich für meinen Teil habe sogar schon eine Zusage (allerdings nicht als FaMI, sondern als Verwaltungsfachangestellte, mein Plan B). Vorstellungsgespräch für eine FaMI-Stelle bei einer großen ÖB habe ich im März (und für die VFA sind sogar noch weitere VG-Einladungen gekommen, aber da gibt es halt auch mehr Stellen). Das ist also alles machbar, auch als Studienabbrecher nach sieben Jahren insgesamt (inkl. Urlaubssemester).

    in der UB vorher hatte ich auch eine kollegin, die vorher kurz vorm ende ein geologiestudium abgebrochen hat und danach in thüringen fami gelernt hat und mittlerweile einen festvertrag hat. gibt somit schon 2 beispiele.

    und wenn man absagen bekommt, niemals entmutigen lassen, das ist dann nur eine sicht des arbeitgebers.

    bestes beispiel, ich habe in einer ausbildungsstelle, obwohl wir nur 5 bewerber auf die famiausbildung waren, den test nicht geschafft und wir sahen uns später in der berufsschule wieder und, obwohl die sich in der WB eines bundesinstitutes durchgesetzt hatte, hatte ich eine bessere prüfung als sie abgelegt, deshalb haben absagen keine aussagekraft darüber, welche fähigkeiten du besitzt.

    ein ehemaliger dozent sagte auch immer, jede absage bringt dich der zusage einen schritt näher

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