Was ist Klinische Forschung?
Klinische Forschung beschäftigt sich mit der Weiter- und Neuentwicklung von Arzneimitteln und Therapieansätzen zur Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten erkrankter Patienten und Vorbeugemaßnahmen.
Klinische Forschung bedeutet nicht 'Forschung in der Klinik'. Ein Teil der Forschung wird natürlich in Kliniken bzw Universitätskliniken vorgenommen. Die basisgebende Grundlagenforschung erfolgt hingegen in Labors der Universitäten bzw Uni-Kliniken oder an speziellen Forschungseinrichtungen von zB der Pharmazeutschen Industrie. Ein Baustein der Klinischen Forschung sind Klinische Studien, die an freiwilligen Probanden und erkrankten freiwilligen Patienten durchgeführt werden. Die in den Klinischen Studien durchgeführten Untersuchungen laufen an sogenannten Prüfzentren. Dies können Forschungseinrichtungen, Kliniken und Arztpraxen sein. Die Organisation, Leitung, Überwachung und Auswertung der Klinischen Studien erfolgen durch ein Pharmazeutisches Unternehmen und/oder ein Auftragsforschungsinstitut in Zusammenarbeit mit Medizinern, Ethik-Kommissionen und Behörden. Klinische Studien basieren auf Erkenntnisgewinn und sind strikt von Marketing-Aktivitäten zu trennen.
Was ist ein Arzneimittel?
Arzneimittel sind pflanzliche, tierische oder synthetische Stoffe, die gemäß Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmt sind zur Diagnostik oder in geeigneter Dosis als Therapeutika zur Beeinflussung von Zuständen oder Funktionen des Körpers, als Ersatz für natürlich vom menschlichen oder tierischem Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten sowie zur Beseitigung oder zum Unschädlichmachen von Krankheitserregern, Parasiten oder körperfremden Stoffen. [Roche Lexikon 3. Auflage]
Der Weg zu einem neuen Arzneimittel
Der Weg zu einem neuen Arzneimittel (Medikament) führt gemäß gesetzlicher Vorschriften nach der Isolierung / Synthese neuartiger Substanzen über eine prä-Klinische Prüfung zur Klinischen Prüfung. In der prä-Klinischen Prüfung werden diese Substanzen an etablierten Modellen untersucht. Nach kritischer Beurteilung der gewonnenen Ergebnisse auf pharmakologische Wirkung und Sicherheit, beginnt der klinische Teil der Entwicklung. Hier wird die Substanz im Rahmen sogenannter Klinischer Studien [siehe auch angehängte Datei: studien_ablauf.gif] am Menschen geprüft. Diese Klinischen Studien müssen zuvor von den zuständigen Ethik-Kommissionen und den Behörden genehmigt werden; die Teilnahme als Proband bzw Studien-Patient ist freiwillig. Die Klinische Prüfung erfolgt in 3 Phase in denen Sicherheit, Dosis, Wirksamkeit und Verträglichkeit mit anderen Arzneimitteln und Wechselwirkungen mit anderen Erkrankungen untersucht werden. Nach erfolgreichem Abschluß der sogenannten Phase 3 der Klinischen Prüfung, erfolgt die Einreichung der gesammelten Daten bei der zuständigen Behörde zur Erlangung der Marktzulassung als Arzneimittel.
Das Zulassungsverfahren
Nach Abschluß aller Klinischen Studien müssen die gesammelten Daten für die Zulassung entsprechend aufbereitet an die zuständige Behörde weitergeleitet werden. In Deutschland ist für die nationale Zulassung von Arzneimitteln das BfArM in Berlin/Bonn bzw. für Impfstoffe, Sera und Blutprodukte das Paul-Ehrlich-Institut in Langen zuständig. Seit 1995 können durch Einreichung bei der zentralen Zulassungsstelle EMEA in London (european medicines evaluation agency) EU-weite Zulassungen beantragt werden. Eine Einreichung in Deutschland ist dann somit nicht mehr notwendig. Gentechnologische Arzneimittel müssen bei der EMEA eingereicht werden.
Sollten nach Ermessen der Zulassungsbehörde die eingereichten Daten die Wirkung und Sicherheit nicht eindeutig belegen, so kann die Behörde weitere Untersuchungen/Studien verlangen.
Medikamente sind nach erfolgter Erstzulassung ausschließlich rezeptpflichtig.
Nach der Erstzulassung
Medikamente werden nach Zulassung weiterhin von den Behörden überwacht. Die Pharmaindustrie und die Ärzte sind verpflichtet, Nebenwirkungen den Behörden zu melden. Unter Umständen kann eine Marktzulassung wieder entzogen werden. Untersuchen zum Langzeit-Nutzen-Risiko werden nach der Marktzulassung mittels Klinischen Prüfungen der Phase 4 durchgeführt. Für jedes Medikament muß alle 5 Jahre erneut eine Verlängerung beantragt werden. Sofern ein Medikament sicher ist, kann der Hersteller frühestens bei der ersten Verlängerung beantragen, das Medikament aus der Rezeptpflicht herauszunehmen. Rezeptfreie Medikamente werden auch als OTC Präparate (over the counter) bezeichnet.
Der Aufwand
Von etwa 10.000 Substanzen gelangen nach der prä-Klinischen Prüfung ca 10 in die Klinische Prüfung. Von diesen 10 Substanzen werden in der Klinische Prüfung 8 bis 9 ausselektiert. Nur etwa 1 bis 2 von ursprünglich 10000 Substanzen werden zur Zulassung eingereicht. Die Entwicklungsdauer liegt im Schnitt bei 8 bis 12 Jahren. Bei den Indikatonen HIV oder Krebs ist diese in der Regel kürzer. Die Entwicklungskosten sind entsprechend hoch: 1999 sind weltweit von den Pharmakonzernen ca 23 Milliarden US$ in Forschung und Entwicklung (F+E; research and development: r+d) investiert worden. Davon entfallen etwa 14Mrd US$ auf Klinische Prüfungen. Anderen Quellen sprechen von über 1Mrd. DM Kosten pro Arzneimittel für Entwicklung und Marketing.
Die während der Entwicklungsphase anfallen Kosten müssen nach der Marktzulassung entsprechend wieder eingespielt werden. Ein wichtiger Punkt ist hier die Patentlaufzeit. Wenn eine Substanz neu entdeckt/synthetisiert worden ist und diese einen möglichen pharmakologischen Nutzen aufweist, wird die Substanz durch eine entsprechende Patenteinreichung geschützt. Nach Ablauf des Patents darf dieser Wirkstoff von anderen Unternehmen ebenfalls hergestellt und vertrieben werden (Generika). Jedes Unternehmen ist daher sehr stark an einer möglichst kurzen Entwicklungszeit seiner Produkte interessiert, um die Patentlaufzeit -sprich das Marktmonopol- so lang wie möglich nutzen zu können.
Die Phasen der Entwicklung neuer Arzneimittel in der Übersicht
[siehe angehängte Datei: phasen.gif]
Isolierung / Synthese von Substanzen |
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Prä-Klinische Prüfung 2 - 3 Jahre |
Prüfung an verschiedenen Modellen - isolierte Zellen - Zellkulturen - Gewebe - Organe - Tiere |
Sicherheits-Untersuchungen: - Toxikologie - Pharmakologie - Biochemie - Mutagenität - Kanzerogenität - Teratogenität - Fertilität - peri- und postnatale Toxidität -
Pharmakokinetik: Absorption, Verteilung, |
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Klinische Prüfung Phase 1-3 3 - 5 Jahre |
Prüfung am Menschen |
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Phase 1 |
ca 50 gesunde Probanden |
Untersuchungen: - Pharmakokinetik - Verträglichkeit -
Wirkung auf Körperfunktionen: |
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Phase 2 | ca 500 ausgewählte
Patienten homogene Patientenpopulation; diese ist nur an der untersuchten Indikation erkrankt |
Untersuchungen: - Wirksamkeit - Sicherheit - Nebenwirkungen |
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Phase 3 Unterteilung in Phase 3a, Zulassungsrelevant: Schwerpunkt Wirkung und Sicherheitsaspekte Phase 3b, Zulassung ggf schon beantragt: Schwerpunkt Gesundheitsökonomie und Lebensqualität |
große Anzahl
an Patienten unterschiedliche Patientenpopulationen mit unterschiedlichen Erkrankungen |
Untersuchungen: - Wirksamkeit - Sicherheit - Nebenwirkungen - Interaktion mit Medikamenten - Kontra-Indikationen - therapeutischer Vorteil - Gesundheitsökonomie - Lebensqualität |
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Zulassungs |
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Klinische Prüfung Phase 4 2 - 3 Jahre |
sehr große
Anzahl an Patienten unterschiedlichste Patientenpopulationen mit unterschiedlichsten Erkrankungen |
Vervollständigung der Daten wie oben beschrieben sollten sich die gewonnenen Daten nicht bestätigen (Sicherheit, Wirkung) dann wird die Zulassung entzogen (trauriges Beispiel: Teratogenität von Contergan) |
Nach der Zulassung können außerdem Anwendungsbeobachtungen durchgeführt werden.
Anwendungsbeobachtungen - AWB
Anwendungsbeobachtungen (AWB) erfolgen ausschließlich an zugelassenen Medikamenten und sind strikt von Klinischen Studien abzugrenzen. AWB sind ein zusätzliches Kontrollinstrument der Pharmaindustie, um bei einer breiten Anwendung in der Bevölkerung weitere Erkenntnisse über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen zu sammeln.
Die Daten von Patienten, die mit dem entsprechendem Medikament das übliche Therapieschema gemäß Beipackzettel durchlaufen haben, werden für AWB anonymisiert gesammelt und statistisch ausgewertet. Es gibt kein Studienprotokoll und keine zusätzlichen Untersuchungen oder andere Anforderungen an Arzt oder Patienten. Die Dokumentation der Daten erfolgt (wie in Klinischen Studien) durch den Arzt in einer strukturierten und anonymisierten Form in speziellen Dokumentationsbögen. Der Dokumentationsaufwand ist hier allerdings erheblich geringer als in Klinischen Studien (ca 2-5 Seiten). In die Betreuung der Ärzte ist der Pharma-Außendienst idR stark involviert. AWB erfolgen oft retrospektiv, dh der Arzt füllt die Dokumentationsbögen anhand seiner Patientenakten zurückblickend auf eine durchgeführte Therapie aus.
Eine Aufklärung der Patient ist in AWB nicht notwendig, da der Patient eine zugelassenes Medikament in einer zugelassenene Therapieform erhält und seine persönlichen Daten (Patientenakte) nicht von Dritten (Monitor, Auditor) eingesehen werden.